Seit den historischen Aufständen in Tibet von 2008 ist es offensichtlich – eine neue Generation von Tibetern führt den Widerstand für Freiheit und Gerechtigkeit in Tibet an. Wer sind sie? Wie denken sie? Was schreiben sie? Der Schriftsteller Shokjang steht stellvertretend für diese Generation und ihren Mut, Tibet in eine selbstbestimmte Zukunft zu führen.
Am 16. März 2015 reist Shokjang nach Rebkong, eine große Stadt in Amdo im Osten Tibets. Als er dort ankommt, bemerkt er die hohe Militärpräsenz auf den Straßen und schreibt sofort einen Eintrag auf seinem WeChat (Chinesische Soziale Medien) Profil. Nur drei Tage später verschwindet er spurlos, und erst ein Jahr später erfährt man, dass er verhaftet wurde. Es ist das zweite Mal, dass er verhaftet wird. Shokjang bedeutet „Morgengrün“ und ist sein Künstlername. Sein echter Name ist Druklo. Er stammt aus einer bescheidenen Nomadenfamilie in Gengya im Bezirk Labrang Sangchu, der Provinz Amdo in Tibet. Trotz des diskriminierenden Bildungssystems schaffte er es an die Nationalitäten-Universität in Lanzhou und nahm dort das Studium der tibetischen Literatur auf. Zusammen mit tibetischen Studenten hat er federführend die 2008-Proteste auf dem Campus organisiert. Fast zur selben Zeit erschien die jährliche Ausgabe des Literaturmagazins „Östlicher Schneeberg“, bei der auch Shokjang stark involviert war.
In dieser Ausgabe wurde von den jungen Schriftstellern, Studenten und Intellektuellen der Lanzhou Universität die chinesische Repression und Gewalt gegenüber den Protesten harsch kritisiert, gleichzeitig ihre Bewunderung mit den Tausenden von tibetischen Protestierenden und ihr Mitgefühl mit den Opfern ausgedrückt. Die chinesischen Behörden haben das Magazin verboten. Drei Schriftsteller und der Redakteur wurden später inhaftiert und zu drei bis vier Jahren Haft verurteilt. Der Name des Redakteurs ist Tashi Rabten (Tashi Rabten ist ein bekannter Schriftsteller aus Ngaba in Amdo. Er schreibt unter dem Namen „Theurang“.) Er ist einer der besten Freunde von Shokjang und wurde gleichzeitig mit Shokjang am 6. April 2010 verhaftet. Chinesische Polizisten stürmten ihr Studentenzimmer und verhafteten die beiden. Ihre Laptops, Bücher und weitere Besitztümer wurden von den Polizisten beschlagnahmt.
Nach einem Monat Befragungen, Folter und unrechtmäßiger Inhaftierung wurde Shokjang entlassen. Entmutigt war Shokjang nach seiner Entlassung dennoch nicht, und seine kreative und produktive Zeit des Schreibens hatte erst begonnen. Er veröffentlichte mehrere Bücher: „Der Mut des Weges“, „Rangdrols Mut“, „Für Freiheit bereue ich nichts“ und „Der Mut des Stiftes“. Besonders hervorzuheben ist der Kontext, in dem tibetische Schriftsteller Bücher veröffentlichen. Es muss alles privat finanziert, gedruckt und verbreitet werden. Freie, unabhängige tibetische Verlage existieren nicht.
Alle sind staatlich oder zumindest staatlich kontrolliert, was es kritischen Schriftstellern wie Shokjang im Prinzip unmöglich macht, eigene Schriften zu publizieren. Dass Shokjang trotzdem viele Bücher veröffentlichen konnte, lässt sich wahrscheinlich auf seine unbändige Willensstärke und die Unterstützung vieler Gleichgesinnter zurückführen. Shokjang nutzt die Sozialen Medien und das Internet, um in Kontakt zu treten mit seinen Landsleuten, aber auch mit chinesischen Netizens. Er beherrscht die chinesische Sprache perfekt, und das ermöglicht es ihm, argumentativ und selbstsicher mit Chinesen zu debattieren.
Seine WeChat und Weibo-Profile* wurden regelmäßig von den chinesischen Behörden blockiert. Auf einem seiner wiedereröffneten Profile im Jahr 2014 sagt er: „Ich bin Shokjang. Mein vorheriges Profil wurde von anderen geschlossen. Nun rette ich mein Schicksal als Schriftsteller für die Freiheit.“ Entsprechend groß war auch die Erschütterung im Netz, als Shokjang 2015 spurlos verschwand. Viele junge tibetische Blogger, Studenten und Schriftsteller haben ihr Entsetzen online ausgedrückt. Die Macht des Internets darf nicht unterschätzt werden. Trotz chinesischer Firewall schaffen es die jungen Tibeter immer wieder, sich über ihr Schicksal und ihre Rechte angeregt zu unterhalten. Shokjang ist im Internet zu einer wichtigen Stimme für Tibet geworden.
Der Fall von Shokjang zeigt, dass die chinesische Regierung sich besonders vor Schriftstellern und Intellektuellen fürchtet. Nomaden, Mönche, Studentinnen, Väter, Töchter, Bauern, geistliche Führer, Gelehrte und Schriftsteller, sie alle sind im Visier der chinesischen Regierung
und können unrechtmäßig inhaftiert, gefoltert und getötet werden. Das tibetische Volk steht unter Generalverdacht. Es ist besonders beunruhigend zu sehen, dass die chinesische Regierung junge Schriftsteller und Intellektuelle verfolgt. Wieso werden sie als Gefahr gelesen? Weil sie die Menschen sind, die die Gefühle und Gedanken vieler Tibeter durch ihr Schreiben ausdrücken und dokumentieren können. In den schwierigsten Zeiten von politischer Geißelung sind die Schriftsteller und Intellektuellen, die sich mit Mut kritisch äußern, eine mobilisierende und befreiende Kraft der Gesellschaft. Vor dieser Kraft fürchtet sich die chinesische Regierung. Schlussendlich werden es Menschen wie Shokjang sein, die die politische Zukunft Tibets mitbestimmen. Menschen wie Shokjang werden die Rechte des tibetischen Volkes fordern und einholen. Deshalb will China sie mundtot machen.
Mit seiner Haltung erinnert Shokjang an historische Persönlichkeiten wie Nelson Mandela. Nelson Mandela stand sinnbildlich für den Mut der Südafrikaner, sich gegen das rassistisch-kolonialistische Apartheid-Regime zu wehren. Im Gerichtssaal von Pretoria verkündet er in seiner berühmten Rede vom 20. April 1964: „Zeit meines Lebens, habe ich mich diesem Kampf für die Afrikaner gewidmet.
Ich habe gegen weiße Vorherrschaft gekämpft, und ich habe gegen schwarze Vorherrschaft gekämpft. Ich habe das Ideal einer demokratischen Gesellschaft gepflegt, in welcher alle Personen in Harmonie und mit gleichen Chancen zusammenleben. Es ist ein Ideal, für welches ich hoffe zu leben, und das ich hoffe zu erreichen. Aber sollte es notwendig sein, ist es ein Ideal, für das ich bereit bin zu sterben.“
Shokjang wurde 2016 zu drei Jahren Haft verurteilt. Am 24. Februar 2016 protestiert er gegen diese Haftstrafe in einer sechsseitigen Berufung an das Gericht: „Ich bin ein Bürger der Volksrepublik China, und darüber hinaus ein tibetischer Intellektueller. Von daher habe ich die Verantwortung für das wertvolle Leben meiner Brüder und Schwestern. Wenn man nun dieses Verhalten als „Aufwiegelung zum Separatismus“ bezeichnet, gibt es denn etwas
Lächerlicheres als das? Ich erdulde diese Strafe mit Freude, aber ich möchte niemals ein Mensch sein, der sich nicht um das Leben seiner Brüder und Schwestern kümmert. Und natürlich würde ich das sogar auch für meine chinesischen Brüder und Schwestern tun.“
Wie Mandela ist Shokjang dazu bereit für seine Ideale wie Gerechtigkeit und Freiheit die Repressalien und die Kriminalisierung eines mächtigen Staates in Kauf zu nehmen. Diese Menschen haben unsere Bewunderung und unsere Solidarität verdient. Als Shokjang 2010 nach seiner ersten Haft entlassen wurde, schickte er seinem Freund Tashi Rabten, der immer noch im Gefängnis saß, Mandelas Autobiographie „Mein langer Weg zur Freiheit“. Es war Shokjangs Art durch Mandelas Lebenswerk seinem Freund eine Nachricht mitzuteilen: „Gibt nicht auf!“ Die Welt wird immer von einer kleinen Gruppe von Menschen verändert. Shokjang gehört gewiss zu dieser Gruppe.
// Migmar Dhakyel
Unterzeichnen Sie die Petition und fordern Sie Shokjangs Freilassung: www.free-shokjang.de
Last modified: 26. Februar 2018